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Aufgabe 9
Als Jan und der Vater wieder zurück auf dem Parkplatz sind, antwortet Jan auf die Frage der Mutter, was sie auf der Brücke so lange getan hätten, mit einem verschmitzten Grinsen. Untenstehend findest du Erklärungen für dieses verschmitzte Grinsen. Kreuze an: Welche Erklärungen treffen zu (richtig), welche nicht (falsch)?

a) … dass Jan sich über das Wiedersehen mit der Mutter freut.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _
b) … dass Jan erleichtert ist, unverletzt wieder zurück zu sein.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _
c) … dass Jan ganz bewusst nicht erzählt, was er mit dem Vater erlebt hat.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _
d) … dass Jan die Antwort des Vaters absichtlich nicht klarer ausformuliert.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _
e) … dass Jan die imposante Brücke gefallen hat.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _
f) … dass Jan der Mutter absichtlich etwas vorenthält.
  • richtig
  • falsch
Mögliche Punktzahl: 2, erreichte Punktzahl: _

# Die Brücke

Sie hatten nicht erwartet, dass es über eine solch gigantische Brücke auch einen Fussweg geben könnte. Schon aus mehreren Kilometern Entfernung sah man die Brücke in einem eleganten Bogen den Fluss überqueren. Die Pfeiler stachen regelrecht in den Himmel. Doch Jans Mutter hatte solche Höhenangst, dass selbst Kaffeetrinken daheim auf dem Balkon für sie mehr Stress als Erholung bedeutete. Der Ausflug auf die Brücke kam nicht in Frage für sie. Susan, Jans Schwester, schmollte seit Paris, wo sie gerne noch ein paar Tage länger geblieben wäre, und blieb lieber beleidigt eine Stunde auf dem brütend heissen Parkplatz, statt zum höchsten Punkt der riesigen Brücke zu wandern. Jan hatte nichts übrig für solche Kindereien. Mit dem Maturitätszeugnis in der Tasche hatte er dem gemeinsamen Urlaub mit den Eltern zugestimmt, nun wollte er auch zeigen, dass es ihm ernst war mit ›gemeinsam‹.

„Ich bin dabei! “, sagte Jan deswegen, als ihn sein Vater fragte, ob wenigstens er mitkomme, denn der nutzte jede Gelegenheit, technische Grosstaten im Detail zu besichtigen. Der Weg neben den Fahrspuren war zu schmal, um nebeneinander gehen zu können. Staunend nahm Jan das leichte Beben wahr, das jeder Lastwagen verursachte. Er hörte den ohrenbetäubenden Lärm der Fahrzeugflut. Dicht folgte er dem Rücken seines Vaters. Dieser drehte sich um, sah ihn an, lachte. So etwas wie Kleinbubenglück leuchtete für einen Moment in seinen Augen auf.

„Wir sind gleich oben! “, schrie der Vater, lief die letzten Meter und stellte sich breitbeinig über die Fuge, die den Scheitel der Brücke markierte. Er schaute aufs Meer hinaus. Jan stellte sich neben ihn. Jeder Lastwagen brachte die Brücke zum Schwingen. Der Wind blies ihm salzige Luft ins Gesicht. Er schaute abwärts, auf die tief unter ihm liegende Wasserfläche, und es ergriff ihn ein berauschendes Gefühl von Weite und Freiheit. „Jetzt würd’ ich am liebsten runterspringen! “, rief Jan übermütig. Er wollte dem Vater Angst machen, aber der nickte bloss.

„Manchmal will man zu viel riskieren – das kenne ich auch! “ Der Vater ging ganz nach vorne ans Geländer, neigte sich weit darüber und breitete die Arme aus, als wollte er sich in den weiten Luftraum zwischen Brücke und Wasser hineingleiten lassen. „Das wäre doch ’n cooler Abgang! Nicht wahr? “, schrie er. Jan hasste es, wenn sein Vater so sprach wie ein Jugendlicher. Aber diesmal ging er auf das Spiel ein, packte seinen Vater bei der Jacke, zog ihn mit einem Ruck zurück – vielleicht war es auch wirkliche Angst um ihn – umgriff ihn von hinten mit beiden Armen und drückte ihn an sich.

Sein Vater war einen Kopf kleiner und inzwischen bestimmt auch schwächer, sie hatten schon vor Jahren damit aufgehört, im spielerischen Raufen ihre Kraft zu messen. „Lass mich, lass mich! “, schrie der Vater albern und wand sich hin und her. Aber Jan hielt ihn fest im Klammergriff, bis der Vater seinen gespielten Widerstand aufgab. Für einen endlosen Augenblick unerwarteten Glücks standen sie bewegungslos, dann drehte der Vater den Kopf zu ihm um und strahlte Jan ins Gesicht.

„Wenn du mal nicht mehr da bist, wird ein riesiges, verdammtes Loch in meinem Leben sein! “, schrie Jan unvermittelt. Er fragte sich, ob es nicht lächerlich war, mit fast neunzehn Jahren so etwas zu seinem Vater zu sagen. Der Vater wand sich aus Jans Armen und drehte sich zu ihm um. „Das ist in Ordnung so“, sagte er glücklich und nickte dabei, „das muss so sein. “ Noch einen Moment blieben sie ganz vorne an der Brüstung stehen, dann gingen sie denselben schmalen Fusspfad zurück.

Auf dem Parkplatz hatte sich die Mutter mit Susan hinter dem Auto in den schütteren Schatten eines frischgepflanzten Bäumchens gesetzt. Als die beiden nach einer Stunde antrotteten, sprang sie auf. „Was habt ihr da oben so lange gemacht? “, fragte sie ihren Mann ein wenig gereizt. „Runtergeguckt“, sagte der Vater. Sie verdrehte die Augen, schüttelte entnervt den Kopf. Dann sah sie Jan fragend an. „Runtergeguckt! “, sagte Jan und grinste verschmitzt.

nach Reinhold Ziegler